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Dr. Margarete Maurer, M.A.  Interdisziplinäre Forschung und Praxis

Entwicklungspolitik

Nord-Süd-DIALOG

So zum Beispiel aus meiner entwicklungspolitischen Lehrtätigkeit am Institut für Philosophie der Universität Wien: Alternatives Lehren und Lernen? Bericht zur Lehrveranstaltung Frauen in der ›Dritten‹ Welt. Situationsanalysen und entwicklungspolitische Perspektiven, in: Franz Kolland (Hg.): Dritte Welt in Forschung und Politik 1984, S. 232–260. 

Ziel eines damals vom Wissenschaftsministerium eingerichteten bescheidenen Budgets für solche Lehr­veranstaltungen war es, entwicklungspolitische Fragestellungen als Quer­schnitts­thema in die Ausbildung zukünftiger Lehrerinnen und Lehrer zu bringen. Der Zusammenschluss österreichischer Wissenschaftlerinnen und Wis­senschaftler im Mattersburger Kreis für Entwicklungspolitik hatte dies durchgesetzt. Ich war in diesem Kontext ein­geladen worden, durch eine Lehrveranstaltung am Philosophischen Institut der Universität Wien die Lage der Frauen in der sich weiter globalisierenden Welt unter feministischer Perspek­ti­ven zu behandeln, selbstverständlich aus philosophischer Sicht. Dies basierte auf meiner vorherigen fachlichen Auseinander­setzung mit der Thematik und einem halbjährigen Studienaufenthalt in Lateinamerika.

Diese Lehrveranstaltung war innova­tiv, und zahlreiche Studierende strömten in meine Seminare. Jedoch konnten sie oft für ihre Referate zu selbst gewählten Themen, für welche sie sich zum Beispiel aufgrund eines Auslands­aufent­hal­tes interessierten, die Literatur nicht finden. Daher begann ich, die Literatur für sie zusammenzustellen.

Frauen­forschung Internatio­nal umfassend dokumentiert

Eine Soziologie-Professorin hörte davon und wollte meine Literatur-Dokumentation publiziert wissen. Dies realisierte ich dann, zusammen mit einigen studentischen Mitarbeiterinnen. Schließlich entstand ein achtbändiges Werk über Frauen­forschung Internatio­nal. Asien, Afrika, Lateinamerika und Nordamerika, mit Kapiteln zu jedem Land und An­gaben zu Publikationen in mehreren dafür relevanten Sprachen, nebst Stich­wor­ten zum Inhalt (Annotationen) und Angaben zu den Bibliotheks­standorten. 

Dies Werk war sehr wertvoll für jede Bibliothek mit überregionalem Interesse, und auch allgemein, denn dies war vor den heutigen Internet-Zeiten. Es wurde damals bis an US-amerikanische Eliteuniversitäten wie die von Stanford verkauft und unter ande­ren von der Sektion Frauenforschung der Deutschen Gesellschaft für Soziologe sehr positiv besprochen. Die Literatur, die darin zusammengestellt ist, lässt sich allerdings so auch heute im Internet nicht finden. Sie bietet einen guten Einblick in die damals international dis­kutierten Themen. Da die Zusammenstellungen der Literatur mit den Erscheinungsjahren ende­ten, können in diesen Bereichen alle, die den Kontext ihrer Fragestellungen auch historisch beleuchten wollen, bis heute Nutzen aus dem umfangreichen Werk ziehen.

Überraschendes Ergebnis einer Podiumsdiskussion als Teil der Lehre

Die genannte Lehrveranstaltung hatte noch weitere Effekte. Denn sie war nicht nur transdisziplinär, sondern auch parti­zipa­tiv angelegt und sollte die Studierenden auch durch eine öffentliche Veranstaltung an die Praxis heranführen. Das heißt: ich ging mit den Stu­dieren­den zum einen nach draußen ins Feld: Wir untersuchten Ungleichheiten (Dispa­ritäten) in Österreich, indem wir Bergbäuerinnen aufsuchten und mit ihnen sprachen und Interviews führten, die Lage analysierten und in Referaten in der Lehrveranstaltung vertieften. Zum Vergleich von Frauen auf dem Land hier und dort wurde in der Lehrveranstaltung eine Fotoausstellung Frauen auf dem Land – hier und dort erstellt. Diese wurde bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion im Schweitzer-Haus präsen­tiert. Zu dieser hatte ich auch eine Vertreterin des Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten eingeladen, um mit den Studierenden und den Gästen zu diskutie­ren. Das überraschende und erfreuliche Ergebnis: Es wurde in der Folge in der österreichischen Regierung eine interministerielle Arbeitsgruppe zu Thematik eingerichtet.

Wer spricht für wen?

In diese Lehrveranstaltung, welche ich an die zehn Jahre durchführte, lud ich außerdem ab und an Gäste aus dem globalen Süden ein, die sich in Wien befanden und zur Thematik etwas sagen konnten. Denn es sollte nicht vorrangig über Frauen und ihre Lebensbedingungen im globalen Süden gesprochen werden, sondern sie sollten gehört werden, und es sollte soweit möglich auch mit ihnen ge­sprochen werden können.

Aus diesem Ansatz heraus wurden in dem von mir ge­grün­deten außeruniversitären Forschungsinstitut RLI entspre­chende Publikationen in dem an das Institut an­geschlossenen RLI-Verlag veröffentlicht: nicht nur die meisten Bände der Doku­mentation Frauenforschung International, sondern zum Beispiel auch der von Ilse Hanak konzipierte Band Entwicklungspolitische Aussagen afrikanischer Schrift­stellerin­nen. Drei von ihnen, Ama Ata Aïdoo, Ken Bugul und Amma Darko, kommen darin zu Wort und vermitteln nebenbei auch faszinierende entwicklungspolitische Ein­sichten.

Im Sinne einer Bringschuld der Forschung gegenüber Frauen dort und der Öffentlich­keit hier waren öffentliche Veranstaltungen wie in meiner oben genannten Lehrveran­staltung auch im von mir geleiteten Forschungs­institut RLI und dem Verein für interdisziplinäre Forschung und Praxis wichtig. Ein Beispiel:

Anlässlich der Weltfrauenkonferenz in Beijing [Peking] wurde in Zusammenarbeit mit anderen Fraueninitiativen eine Veran­staltung organisiert, in welcher über die Bedeutung der Frauenfrage in der VR China informiert und dazu Gäste eingeladen wurden, anstatt lediglich darüber zu diskutieren, welche Forderungen Frauen in Österreich in die Weltkonferenz einbringen wollten, obwohl dies gleich wichtig war. Die Frauenfrage in der VR China stellte zumindest damals ein viel heißeres Eisen dar als zum Beispiel die Wissenschaftspolitik in der VR China, worüber ich ebenfalls gearbeitet hatte im Rahmen eines dortigen Forschungsaufenthaltes.

Die Ergebnisse der Veranstaltung zur Frauenfrage in der VR China wurden im RLI-Verlag veröffentlicht: Dokumentation zur Veranstaltung Frauenforschung in der VR China, anläßlich der 4.Weltfrauenkonferenz 1995, herausgegeben zusammen mit der damaligen AG Frauenrechte Menschenrechte.

Ost-West-Dialog

Geographisch gewissermaßen quer zum Nord-Süd-Dialog war mir auch der Ost-West-Dialog ein Anliegen. Ich war am Philosophischen Institut an der Arbeits­gemeinschaft Philosophische Frauenforschung beteiligt, und wir haben in Wien eine internationale Tagung mit Kolleginnen aus der damaligen Tschechoslowakei organisiert, wo wir die Lage der Frauen in Osteuropa (am Beispiel der damaligen Tschechoslowakei) und Westeuropa (am Beispiel Österreichs) analysierten. Heraus kam, dass die berufliche Lage der Frauen in Osteuropa in Hinsicht auf die beruf­liche Gleich­stellung besser war, jedoch innerhalb der Familien von der Struktur her gleich: für Hausarbeit und Kindererziehung hauptsächlich zuständig und somit doppelt belastet.

Für eine ähnliche Tagung Jahre später, in der österreichischen Botschaft in Bratislava, hatte ich Referentinnen vermittelt. Die damalige österreichische Kultur­attaché Stella Avallone hatte dort das Symposium über Frauen in Mitteleuropa heute organisiert. Die zwei­sprachige Publikation zur Tagung wurde, versehen mit einer ordentlichen ISBN-Nummer, im RLI-Verlag veröffentlicht.

Heute integriere ich die Analysen, Thesen und Erfahrungen aus meinem Arbeitsfeld globaler Entwicklungen in den Fadenkreuzen Nord-Süd und Ost-West in die Befassung mit der Klimakrise bzw. der Klimakatastrophe.

Gerade Frauen im globalen Süden können in ihrem ökologischen Engagement für viele auch im globalen Norden vorbildhafte Inspirationen geben. Außerdem sind Frauen als zumeist zuständig für Ernährung und Gesundheit der Familien von den Auswirkungen der Erderwärmung besonders betroffen. Solche sozialen Ungleichheiten werden durch die Klimakrise vertieft.

Rosa Luxemburg: „Ich bin ein Land der un­beschränkten Möglichkeiten“

Wer sich auf wissenschaftlich-analytischer Ebene mit globalen Zusammenhängen befasst hat, ist eine aus Polen gebürtige, in Staatswissenschaften promovierte und von Fernseh-Dokumenta­toren als Große Deutsche titulierte kleine Person (1,50 m): Rosa Luxemburg (1871–1919), nach welcher das von mir gegründete außeruniversitäre Forschungsinstitut benannt wurde.

Denn Luxemburg analysierte nicht nur die Flottenpolitik des wilhelminischen Kaiser­reiches, sondern hatte sich als Studentin für das Frauenwahlrecht an ihrer Uni­ver­sität eingesetzt, die Lage proletarischer Frauen analysiert und ihre – in heutiger Sprechweise – Systemrelevanz beschrieben, sondern war bekanntlich auch mit allem Lebendigen und mit der Natur generell inniglich verbunden. Ihre literarischen Beschrei­bungen von Vögeln, Bienen, Wasserbüffeln und Landschaften – die sie auch malte – sind legendär. Sie hatte zunächst Naturwissenschaften (und Mathematik) studiert. Dies passte von Interessen, Lebenseinstellungen und analytischen oder analy­sieren­dem Denken zu den Themenbereichen meines Institutes, des RLI, auch wenn dies vom Programm her keine eigentliche Luxem­burg-Forschung betreiben sollte, sondern fokussiert war auf die Bereiche Natur/wissenschaft/Technik, Entwicklungspolitik und Bildung, und zwar jeweils aus der Perspektive von Frauen bzw. der Frauenforschung und der feministischen Studien.

Es kamen jedoch dermaßen viele Anfragen zu Rosa Luxemburg (z.B. wo kann ich das berühmte Zitat zu dem und dem finden?) herein, dass ich beschloss: wir müssen einen Band zu Rosa Luxemburg machen. Und zwar einen möglichst allgemein verständ­lichen für eine breiteres Publikum. So kam ich zur Herausgabe des wiederum im RLI-Verlag erschienenen Bandes über Rosa Luxemburg Ich bin ein Land der un­beschränkten Möglichkeiten

Er enthält grund­legen­de Informationen und interessante Beiträge zu dieser herausragenden Politikerin, Wissenschaftlerin, Journalistin und Autorin, ergänzt durch eine Zeittafel und ein hilfreiches Glossar mit Er­läu­ter­ungen zu den vorkommenden Personen, Zeitungen und politischen Parteien. Rückmeldungen zum Buch ergaben, dass insbesondere Schüler/innen der Oberstufe von Gymnasien den Band gerne bestellten, wenn sie ein Referat über Rosa Luxem­burg schreiben sollen oder wollen. Inzwischen ist ein weiterer Band geplant zu Rosa Luxemburg: Von der Ikone zur als Person.

Rosa Luxemburg gehört zu den Frauen, die in die Schweiz nach Zürich gehen muss­ten, um überhaupt studieren zu können. Und sie war zu einer Zeit Journalistin und Redakteurin, als es in diesem Beruf kaum noch Frauen gab.  Bei ihrem Engage­ment in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands war sie unter der Führungs­riege oft die einzige Frau unter lauter Männern.

Eine analoge Situation – mit allen Unterschieden und Ähnlichkeiten – gab und gibt es für Studentinnen und die Berufstätigen in den naturwissenschaftlich-technischen Männerdomänen. Da ich damals mit Philosophie und im Nebenfach Chemie eben­falls in diese Gruppe fiel, wurden – wenn auch erst nach meinem ersten Studien­abschluss – entsprechende Fragen zu einem weiteren Publikations- und Forschungs­feld meiner.

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